Lomi Lomi Nui gehört zu den exklusiven Angeboten auf dem Wohlfühlmarkt. Wer sich in der hawaiianischen Knetkunst unterweisen lässt, kann danach schweben
Der Raum ist licht und luftig: Es gibt drei Stühle, ein Flip-Chart und einen Massagetisch. Brennende Kerzen. sagt Fahima, »heißt kneten. Die Wortdopplung bedeutet eine Verstärkung. Und großartig.« Lomi Lomi Nui bedeutet also »starkes Kneten großartig.« Klingt gut!
Fahima Asseily ist »Lehrerin für hawaiianische Körperarbeit«. In Röcke bei Bückeburg bietet sie viertägige Seminare in der Massage Lomi Lomi Nui an, also einen Intensivkurs zum Nui-Masseur. Körperarbeit klingt nicht gerade nach Wellness. Trotzdem hat sich die hawaiianische Tempelmassage in den Spas großer Hotels und den Wellness-Einrichtungen der Republik in den vergangenen Jahren auffällig breit gemacht. Label: teuer, dafür etwas ganz Besonderes. Aber was ist Lomi Lomi Nui: Ein bisschen unseriös, wie der Name in unseren Ohren klingt? Exotisch bis erotisch, wie Artikel in Frauenmagazinen nahe legen? Oder heilend, optimistisch stimmend, verschönernd, ja weltverbessernd? Das jedenfalls posaunt die weltweit tätige und vernetzte Aloha-Szene ins Web. Ich lerne es, dann weiß ich es.
Wir sind ein kleiner Kurs. Die Schullehrerin Anna (Name geändert) und ich und eben unsere Meisterin Fahima, deren Vater Libanese ist und uns bekocht. Die hawaiianische Tempelmassage, jahrtausendealt, wurde bei Entscheidungsschwierigkeiten und Lebensübergängen eingesetzt. »Wenn man einen Schritt vorwärts nicht schaffte, die Trennung in einer Beziehung zum Beispiel.« Anna schlägt sich genau wie ich mit einer Trennungsgeschichte herum – das passt ja.
Man zieht alles aus. Jedes Wäschestück, erklärt Fahima, würde den Energiefluss stören. Und um den geht es. Sie reicht mir einen braunen, floral bedruckten Sarong – meine Bekleidung für die nächsten vier Tage, wenn ich nicht gerade auf dem Massagetisch liege. Dorthin huscht man nackt, während die anderen weggucken, und rutscht unter ein Laken. Das Laken wird daraufhin vom Massierenden, der hier Therapeut heißt, so kunstvoll gefaltet, dass ein tangagroßes Areal bedeckt bleibt. So wird der »Patient« niemals in Verlegenheit gebracht.
Ich darf mich zuerst hinlegen – und zwar auf den Bauch. Der Kopf steckt in einem gepolsterten Ring, denn wegen der hervorragenden Nase kann man sonst schlecht stundenlang so liegen. Außerdem fließen durch den Ring die Tränen ab, aber das kommt später. Anna muss mir erst mal die Hände auf den Oberarm legen und laut atmen, damit wir energetisch in Einklang kommen. Dann folgt die Begrüßung: Sie drückt ein wenig meinen Seelenpunkt. Der befindet sich an der Fußsohle im vorderen Drittel in der Mitte. Danach werde ich eingeölt. Ich bin sicher, die Welt wäre schon besser und schöner, wenn alle Bewohner nur einmal in der Woche hawaiianisch eingeölt würden. Beide Frauen tunken ihre Arme in eine Mischung aus Erdnuss-, Mandel- und Kokosöl und fahren dann synchron mit vier Unterarmen über Füße, Beine, Po, Rücken und Schultern und über die Arme zurück, immer wieder, bis ich vor Öl triefe.
Jetzt tanzt Anna um mich herum. Ich weiß das, obwohl ich die Augen geschlossen habe. Denn wir haben zuvor den Fregattvogelschritt geübt. Der Fregattvogel ist ein großer tropischer Küstenbewohner, und wenn man seine Schrittfolge nachahmt, kann man leicht und elegant um den Massagetisch herum schweben und zu den Klängen alter hawaiianischer Lieder den »Rückenstrich« ausführen. Dabei fährt der Therapeut mit den Unterarmen von der Schulter abwärts über den Rücken und wieder zurück, dann kommt der Vogelschritt, und die andere Körperseite ist dran. Findet der Therapeut seinen Rhythmus, hat er auch selbst etwas von der Massage, die dann tatsächlich einem Tanz ähnelt. »Shaman Flying« nennen Insider die Schrittfolge.
Schamanen waren es, die auf Hawaii Lomi Lomi Nui ausübten. Die weisen Männer und Frauen wussten um Geheimnisse, konnten in dem gewöhnlichen Menschen Verborgenes sehen, Krankheiten und Probleme erspüren und heilen. Auch Fahima sagt – aber nur, wenn man sie fragt – sie sei Schamanin. Nicht fertig, aber »weit. Ich habe vieles verstanden.« Nicht schlecht für 33 Jahre. Und es erstaunt mich sehr, dass ich keine Probleme mit ihrer Selbsteinschätzung habe. Jetzt kenne ich eben eine Schamanin, na und? Muss ich immer alles besser wissen? Früher war Fahima Surflehrerin und Physiotherapeutin, dann entdeckte sie Huna (»Geheimnis«), die Philosophie hinter Lomi Lomi Nui, belegte Kurse und machte sich 2003 selbstständig.
Man spricht von den sieben Prinzipien der Hunalehre. Am besten gefällt mir Prinzip Nummer 1, Ike: die Welt ist, wofür wir sie halten. Und Pono (Prinzip 7): Wirksamkeit ist das Maß der Wahrheit. Pono ist die Brücke für den zweifelnden Kopfmenschen. Der muss hier nämlich gelegentlich hart schlucken, wenn im abendlichen Gespräch ein esoterisches Süppchen aus reichlich populistischer Quantenphysik, heilenden Edelsteinen, Schakrenlehre und den notorischen Wassertropfenfotos des Japaners Masaru Emoto angerührt wird. Pono dagegen besagt in aller Schlichtheit: Was wirkt, ist wahr. Das leuchtet ein, schon weil es auch für Placebos und die homöopathische Medizin gilt. Die wirken ja auch irgendwie.
Erstmals lerne ich den zweiten Aspekt der Lomi-Lomi-Massage kennen: Es ist nicht nur schön. Es tut auch manchmal weh. Arme werden verbogen. Die Gelenke gedreht. Später die Beine. Intuitiv findet der Therapeut die Stellen im Körper, wo aus welchen Gründen auch immer Blockaden sind, Verspannungen, knubbelige Muskeln. Und da ist gleich Schluss mit seichtem Streichen. Mit Vehemenz und Körpereinsatz fährt der Behandler in die Tiefe des Gewebes solcher Problemzonen und quetscht und walkt und presst und wirft sich gar mit dem ganzen Körpergewicht auf den Ort, wo der Energiefluss gehemmt ist. Der Patient hat dann zwei Möglichkeiten: Er kann aua schreien und versuchen auszuweichen. Dann wird nicht weitergebohrt. Oder er »beatmet« hörbar den Schmerz, lässt ihn zu, nimmt ihn an und hofft, durch Leiden weiterzukommen. Dann kann es sein, dass sich der Schmerz mit der Verkrampfung auflöst.
Jetzt bin ich der Therapeut. Anna ist weich, biegsam, scheint meine Körperarbeit zu genießen. Erst als ich zur Hüfte komme, fängt sie an, stoßartig zu atmen. Wie vorgeschrieben: einatmen durch die Nase, dann Mund auf und alles raus. Ein kleiner Triumph für mich: Ich habe eine Problemzone entdeckt. Selber heftig mitatmend, fahre ich mit beiden Armen, dann mit den Ellbogen ins verknotete Revier. Anna scheint es schwer zu haben. Fahima springt bei und bearbeitet gleichzeitig Schultern, Hals und Rücken. Plötzlich tropfen Tränen auf den Fußboden. Die Meisterin reicht ein Taschentuch. Irgendwie habe ich das Gefühl, wir drei haben etwas geschafft.
Am vorletzten Tag dringen wir in heikle Regionen vor. Die Vorderseite ist dran. Auf dem Rücken liegend, fühlt man sich schutzloser, aber auch offener. Die Berührung von Brust, Bauch und Gesicht ist intim, gut, dass sich das Vertrauen zu den »Therapeuten« langsam aufgebaut hat.
Meine rechte Schulter beginnt bei den Dehnungsübungen zu schmerzen. Ich bin da mal draufgefallen, seitdem versteckt sich im Gelenk ein Ödem, das mich manche Nacht kostet. Ich erkläre das Problem. Doch in dem jetzt erreichten Bewusstseinszustand existiert kein banaler physiologischer Schmerz mehr: Was will mir die Schulter sagen? Warum bin ich auf genau diese Schulter gefallen? Anna bearbeitet meine Füße, Fahima meinen Hinterkopf, ich schnaufe wie eine Lokomotive, der Schmerz wandert plötzlich wundersamerweise in die andere Schulter. Wie an Gummibändern gezogen, heben und senken sich meine Arme, die Fäuste ballen sich, auf einmal habe ich das Gefühl, als pulse heiße Energie aus den Händen. Die Schmerzen lassen nach, ich muss weinen über all die Abschiede im Leben. Dann erscheint mir eine gütige weiße Gestalt, das Bild teilt sich, oben bleibt weißer Himmel, unten schwappt eine braune Brühe.
Nach vier Tagen gehe ich, ein bisschen wacklig auf den Beinen, nach Hause. Ich habe Tiere gesehen und Gärten und Stimmen gehört (Suggestion? überreizte Fantasie? flippende Neuronen?). Ich fühle mich schön (na ja) und erneuert (ja), jetzt wird alles anders (Blödsinn). Der Körper ist zutiefst durchgewalkt und verwöhnt worden (stimmt). Ich kann hawaiianisch massieren (auch das). Und das Seelchen ist durch Berg- und Talfahrten ein Stück gewachsen (hoffentlich). Ich bin mir sicher, mit einem unerwarteten Maß an Intuition begabt zu sein und vielleicht sogar ein bisschen schamanisch (das legt sich wieder). Ganz sicher gilt jedenfalls das siebte Prinzip, Pono. Denn Wirkung war da. Also auch Wahrheit. Nui!
Die Zeit: http://www.zeit.de/2005/39/Well_Lomi_neu
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